Nur wenige Menschen haben das Glück, in fortgeschrittenem Alter friedlich aus einem aktiven Leben zu scheiden. Wie etwa Schauspieler Axel Milberg über seine Eltern berichten kann: «Wenn wir es uns aussuchen könnten, wie wir sterben, dann vielleicht beim Abendessen mit Freunden, wo es plötzlich ‹patsch!› macht. Und bevor ich mit dem Körper auf den Boden aufschlage, bin ich schon tot. In launiger Runde zwischen Hauptgang und Dessert im Kreis von Freunden und Familie. Oder auf einer Reise. Meine Eltern sind gestorben, ohne krank gewesen zu sein. Ich musste nach dem Tod meiner Mutter 13 gebuchte Reisen stornieren, die sie geplant hatte! Das hat uns sehr getröstet.»

Was aber macht man, wenn dem Tod eines geliebten Menschen ein langer Leidensweg vorausgegangen ist? Wenn zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch weitere albtraumhafte Erfahrungen dazugekommen sind? Wenn der Amts-Schimmel nicht nur wieherte, sondern unter jahrelangen Brech-Durchfall gelitten hat? Man marschiert quer durch die Hölle – und versucht am Ende trotz allem einen friedlichen Schlusspunkt zu setzen.

Wenn dem Tod eines geliebten Menschen eine schmerzvolle Zeit vorausgegangen ist, kommt einem friedlichen Abschied eine besondere Bedeutung zu. Als Angehöriger braucht man einen Ort, ein Symbol oder ein Erlebnis, das einen versöhnlichen Schlusspunkt setzt. Das ein bisschen Leichtigkeit hineinbringt in eine Zeit voller Schwere & Bedrücktheit. Vielleicht reist man mit der Asche ans Meer und organisiert eine schöne Wasser-Bestattung in einer Gegend, wo der Verstorbene mit den Gezeiten verschmelzen wollte. So will sich etwa Schauspieler George Clooney nach seinem Tod verbrennen lassen und die Asche an die Familie und die engsten Freunde verteilen. «Jeder wird dann einen Teil der Asche an einem Ort verstreuen müssen, an den ich nie gereist bin. Das wird die letzte Gelegenheit für mich sein, die Welt zu sehen.» Im Testament hat er auch seine Bereitschaft zur Organ-Spende festgehalten, musste sich aber vom Notar sagen lassen, dass seine Leber wohl niemand mehr nehmen würde …

Andere haben es lieber handfester und reservieren bereits frühzeitig die letzte Ruhestätte. Einmal neben Marilyn Monroe zu liegen – dafür hätte manch ein Mann zu Lebzeiten der Diva so einiges gegeben. Posthum sicherte sich Playboy-Gründer Hugh Hefner ein schattiges Plätzchen neben der Hollywood-Legende. Er kaufte sich das Grab neben jenem der Monroe im Westwood Memorial Park in Los Angeles. Einst war Marilyn sein erstes grosses Nackedei im Playboy. «Und irgendwann», so der in die Jahre gekommene Hefner mit ein bisschen Vorfreude, «wird sie mein letztes Date sein.»

Und der eine oder andere verbittet sich ganz ausdrücklich das heuchlerische Gesülze, das so manche Beerdigung begleitet. Wie etwa der 2015 verstorbene Münchner Gastronom Gerd Käfer. Für seine Beerdigung hatte (Feinkost-)Käfer bereits zu Lebzeiten alles geplant. Der Perfektionist wollte seine «letzte Party», wie er seine Beerdigung nannte, nicht aus den Händen geben. Schon Jahre vor seinem Ableben kündigte er an: «Ich will die grösste Beerdigung aller Zeiten haben. Der Regisseur bin nämlich ich. Ich halte meine Grab-Rede vom Band. Ich werde 1000 Trauer-Gästen, die später in einem Käfer-Zelt auf meine Kosten schlemmen, per Kassette mitteilen, dass ich Heuchler, Schleimer und Geizkrägen im Jenseits noch mehr verachte als zu Lebzeiten. Zum Schluss werde ich sagen: Spart euch eure überflüssigen Grab-Reden. Ich weiss selbst, was für ein Mensch ich war. Im Zelt soll Bernhard Paul einen grossen Zirkus abziehen. Warum soll der Tod nicht so komisch sein wie das Leben?»

Ja, warum eigentlich nicht? In vielen Kulturen hat der Tod grundsätzlich (auch) etwas Leichtes & Beschwingtes. So ist etwa der «Dia de los Muertos» (Tag der Toten, Allerseelen) in Mexiko kein Tag der Trauer & Besinnung, sondern ein fröhliches Fest, wo Familien am Grab ihrer Verstorbenen ein Picknick veranstalten. Man verspeist u.a. Totenköpfe aus Zuckerguss & Schokolade – und ein Gedeck wird für den Verstorbenen freigehalten. Schliesslich ist er nur hinter dem Horizont verschwunden – und irgendwo anders wieder aufgetaucht … 

Als ich Anfang Dezember mit Freunden beim Essen sass, kam das Gespräch auch auf Beerdigungen & Friedhöfe – und eine Freundin meinte, sie möchte am liebsten eine Meer-Bestattung auf den Philippinen, wo sie seit längerem zweimal jährlich ein paar Wochen Urlaub macht. Und ein anderer Freund, der seit langem in Winterthur lebt, meinte entschieden, auf dem Friedhof Winterthur-Töss möchte er keinesfalls begraben liegen, so nahe an der Autobahn, viel zu laut, zu viele Abgase etc. Das war natürlich ein Scherz, aber die Abneigung gegen diesen Friedhof war ernst gemeint. Dort nicht, basta. So hat jeder seine eigenen Vorstellungen … 

Mein letztes Jahr verstorbener Vater wollte durchaus auf dem Friedhof seiner langjährigen Wohn-Gemeinde Rheinfelden begraben werden. Es ist ein schöner alter Wald-Friedhof mit vielen Bäumen und einem zentralen Weiher. Ein schattiger, friedlicher Ort, wo bereits vor über 20 Jahren meine Mutter beerdigt wurde. Mein Vater Freddy wollte eine traditionelle Beerdigung mit anschliessendem Leichen-Schmaus in gemütlicher Runde. Er wünschte eine klassische Erd-Bestattung mit Eichen-Sarg, Abendmahl-Motiv und Segnung am offenen Grab. Das ist heute selten – in Rheinfelden beispielsweise kommen auf gut 100 Todesfälle jährlich nur noch etwa drei, vier Erd-Bestattungen. Dafür liegen allerorts einfache Abdankungen auf Gemeinschafts-Wiesen im Trend, wo später nur noch eine kleine Inschrift an den Verstorbenen erinnert und entsprechend auch die Grab-Pflege entfällt. 

Meine Schwester Sonja & ich wollten in erster Linie einen friedlichen, passenden Schlusspunkt hinter einen langen Leidensweg setzen. Unser Vater konnte seine Wünsche aufgrund schwerer Demenz schon lange nicht mehr selber äussern – aber anlässlich der Beerdigung unserer Mutter in den 90er Jahren hatte er durchblicken lassen, dass sich seine eigene Beerdigung dereinst ähnlich abspielen sollte. Insofern fielen die Entscheidung für das «Wo» und «Was» recht leicht. Es ging vor allem um ein stimmiges «Wie».  

Der Abschied von einem geliebten Menschen ist für mich selber stets mit einem bestimmten Lied und einem bestimmten Gedicht verbunden. Eine kleine persönliche «Tradition», an der man sich im übertragenen Sinne ein bisschen festhalten kann. Etwas, das vielleicht auch für jemand anderen da draussen hilfreich sein könnte. Man hat dann schon mal eine Basis, auf der man aufbauen kann. Eine Art «roten Faden» – angefangen bei Todes-Anzeigen & Leid-Zirkularen über Beerdigungen & Grabsteine bis hin zum Niederschreiben eigener Gedanken & Geschichten oder als musikalische Untermalung besinnlicher Momente. Bestimmte Songs & Gedichte sind treue Begleiter durch ein ganzes Leben … 

Nach zwei Jahrzehnten waren unsere Eltern also wieder irgendwie vereint.

Zumindest in diesem Gedicht von Reiner Kunze:

Rudern zwei ein Boot,
der eine kundig der Sterne,
der andere kundig der Winde,
führt der eine durch die Nacht,
führt der andere durch die Stürme,
und am Ende, ganz am Ende
wird das Meer
in der Erinnerung
blau sein.

(Mehr dazu hier:) «Tröstliche Gedichte zum Abschied»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/troestliche-gedichte-zum-abschied.html

Und im folgenden Lied:

«Falling into Presence»:
https://www.youtube.com/watch?v=DQU5ocO-HXs 

When all the final curtains fall,
illusions tumble down the wall.
You leave behind the painful past
and time is on your side at last.
You realise the present‘s worth,
you feel the naked heart of earth.
And see it’s all inside of you:
the universe, the love, the clue. 

And Rilke adds, with poet‘s tongue:
the hawk, the storm, the song.

Meine Schwester & ich haben eine schöne Beerdigung organisiert letztes Jahr auf dem Wald-Friedhof Rheinfelden – ich glaube, es hätte unserem Vater gefallen. Es sind erfreulich viele Menschen gekommen, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Und auch die vielen roten Rosen auf den Kränzen & Blumen-Herzen wären wohl in seinem Sinne gewesen. Er liebte Blumen und insbesondere tiefrote Rosen.

Im Januar 2017 wird voraussichtlich sein Grabstein gesetzt werden. Bei einer Erd-Bestattung sollte sich die Erde im Vorfeld mindestens ein Jahre lang senken, bevor man das provisorische Holz-Kreuz durch einen massiven Stein ersetzt. Wir haben das gleiche (oben erwähnte Reiner Kunze) Gedicht und das gleiche Foto benutzt wie bereits für die Todes-Anzeige:

https://twitter.com/AVSchaffner/status/814058870846922752

Das Grabstein-Atelier, das unseren Grabstein anfertigt, hätte unlängst für einen anderen Kunden auf einem anderen Friedhof folgende Inschrift einmeisseln sollen: «Room-Service please!» Und zwar auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen. Wurde allerdings vom betreffenden Friedhof abgelehnt. Erlaubt wurde hingegen der Wunsch einer ehemaligen Wirtin: «Heute Ruhetag!»

«Gentleman-Playboy» Gunter Sachs wünschte sich für seinen Grabstein folgende Inschrift: «sachs @paradise.all». Und auch was die Musik anbelangte, hatte er klare Vorstellungen.

Musik-Wünsche hat unser Vater nie geäussert – aber wir haben natürlich gerne etwas Passendes zusammengestellt. Nachfolgend ein paar (ganz unterschiedliche) Beispiele für Songs, die ich vielleicht einmal in Zukunft mit einem Todesfall «verknüpfen» werde, wenn es denn passen sollte:

«Kathleen Ferrier – Erbarme Dich, Matthäus Passion»
https://www.youtube.com/watch?v=zmWjoTA1BLQ

«I Am Kloot – Some Better Day»
https://www.youtube.com/watch?v=uJET0Rf_fQo

«PeterLicht – Dein Tag»
https://www.youtube.com/watch?v=e0N-UOuLv74

«Jens Friebe – Schlaflied»
https://www.youtube.com/watch?v=m_Fk-4NqHsY

«Robin Gibb – Don't Cry Alone»
https://www.youtube.com/watch?v=-0HF2EFJIL8

Letzterer ist in vielerlei Hinsicht ebenso schmerzlich wie versöhnlich. «Don't Cry Alone» stammt aus dem «Titanic Requiem» von Bee Gee-Sänger Robin Gibb, komponiert anlässlich des 100. Jahres-Tages der Titanic-Katastrophe. Das einstündige Requiem wurde im April 2012 uraufgeführt – aber Robin Gibb war es aufgrund seines Gesundheits-Zustands nicht mehr möglich, an der Premiere teilzunehmen. Er litt an fortgeschrittenem Darm- & Leber-Krebs und verstarb im Mai 2012. «Don't Cry Alone» war also auch eine Art Abgesang auf sein eigenes Leben.

Ein ähnlich schmerzliches Schicksal war übrigens auch der weiter oben erwähnten Kathleen Ferrier beschieden. Sie war eine zauberhafte Erscheinung, sang wie ein Engel und wurde noch früher abberufen. Und Bachs «Erbarme Dich» bringt weiterhin Steine zum Erweichen …

«Some Better Day» ist ein Song über schreckliche Dinge, die geschehen im Leben – und die man nicht verhindern kann. Es ist ein Lied über das, was an uns verbrochen wurde – und auch über das, was wir selber anderen angetan haben. Aber alles im Leben hat bekanntlich zwei Seiten. Und schon Rilke – und viele andere – lehrten uns, dass das Schöne nur des Schrecklichen Anfang ist (und genauso auch umgekehrt …). Und dass es Dinge gibt, die niemand von uns ändern oder umgehen kann – nur aushalten. Und aushalten ist manchmal schon sehr viel.

Gerade im Schmerz, in der Trauer und Wut kann Musik eine ungemein tröstliche Kraft entfalten. Songs können auch das ausdrücken, wofür Worte allein nicht ausreichen. «Turn your wounds into wisdom», verwandle deine Wunden in Weisheit, wie ein altes amerikanisches Sprichwort sagt. Viel anderes bleibt uns auch gar nicht übrig. Und auf diesem Weg hat schon so mancher Song mehr als nur ein bisschen geholfen …

An der Beerdigung meiner Mutter haben wir eine klassisch ausgebildete Sängerin engagiert, um ihre Lieblingslieder vorzutragen – unter anderem ihr geliebtes «As time goes by» aus dem Film «Casablanca». Das hat uns ungemein getröstet damals. Es klang über Erwarten schön durch die kleine Kapelle, als hätte sich eine höhere Macht persönlich herabgelassen und den Himmel einen Spalt weit geöffnet. Das berühmte Schöne, das nur des Schrecklichen Anfang ist – aber genauso eben auch umgekehrt. Wir haben es gesehen, gehört, gespürt. Dieser Frieden hat uns seither nie mehr verlassen – obschon auch diesem Todesfall eine lange Leidenszeit vorangegangen ist.

Trauen Sie sich, den letzten «Schritt» im Leben Ihrer Lieben persönlich & stimmig zu gestalten. Die Welt ist voll von 0-8-15-Abdankungen, 0-8-15-Sprüchen, 0-8-15-Begräbnissen. Sie braucht nicht noch mehr davon. Vergessen Sie diese unsäglichen heruntergeleierten Lebensläufe. Als wäre man noch immer auf der Schule oder bei einem Vorstellungs-Gespräch. Ob nun jemand zwei Jahre mehr oder weniger zur Schule gegangen ist oder vor 30 Jahren von Hinterfultigen nach Hinterkaffingen gezogen ist, interessiert absolut niemanden. Oder diese endlosen Kranken-Geschichten, als hätte vorher niemand mitgekriegt, wie es um den Verstorbenen stand. Der natürlich immer alles «tapfer und ohne zu klagen» ertragen hat.

Auch wenn ein Pfarrer vor einem steht, ist «Ja & Amen» nicht unbedingt die beste Antwort. Möchte man Ihnen an der Beerdigung etwa eine staubige Melodie vorflöten, obschon Sie Blockflöten bereits als Kind genervt haben? Dann wird die Begeisterung dafür nicht ausgerechnet jetzt erwachen. Besteht das einzig «Individuelle» darin, dass der Verstorbene «gerne gereist ist» plus ein, zwei weitere Banalitäten oder Allgemeinplätze? Das muss nicht sein.

Der oder die Verstorbene war etwas ganz Besonderes in Ihrem Leben: Zeigen Sie das, lassen Sie die anderen wissen, was diese Person ausgemacht hat, was ihr wichtig war – im Leben und darüber hinaus.

Vergessen Sie diese öden & trostlosen letzten Gänge, die einen selber am allermeisten aufregen, weil man es versäumt hat, sich gebührend zu engagieren. Vergessen Sie diese vordergründig «individuell», aber in Wahrheit nach dem Prinzip des geringsten Aufwands gestalteten Todes-Anzeigen mit den endlos heruntergenudelten Standard-Floskeln, Standard-Zitaten & -Gedichten. Der Lieblings-Satz des Beerdigungs-Instituts an meinem früheren Wohnort lautete: «Traurig, aber mit vielen schönen Erinnerungen nehmen wir Abschied von bla bla bla …» Traurig, fürwahr. 1000 x gelesen reicht nicht. Irgendwann kann man es nicht mehr sehen …

Finden Sie Ihre eigenen Worte, planen Sie einen herzlichen, erinnerungswürdigen Abschied. Mit einem passenden Abgang für Ihre Lieben geben Sie sich zuallererst selber Halt & Trost. Denn Sie werden sich noch oft im Leben an den Abschied von einem geliebten Menschen erinnern. Lassen Sie (wenigstens) diese letzte Erinnerung eine schöne, tröstliche sein – nicht eine, die Sie sich mühsam selber schön-reden müssen. Lassen Sie sich insbesondere von folgenden Fragen leiten: Was hat den Verstorbenen ausgemacht, worin lag seine Besonderheit? Wofür hat er gelebt? Warum war er wichtig für Sie? Was ist ihm besonders am Herzen gelegen – zu Lebzeiten und darüber hinaus?

Das ist ein Aufwand, der sich noch Jahre später auszahlt – in einer Währung namens Frieden …

Noch wichtiger ist es natürlich, bereits zu Lebzeiten mit dem eigenen «Seelen-Frieden» (oder wie auch immer man es nennen will) zu beginnen. Ich zitiere gerne Johannes Mario Simmel, der noch zu Lebzeiten immer wieder betont hat: «Sollte mir jetzt etwas passieren, ist das meiste ausgesprochen.» Das ist eine sehr weise Art zu leben. Niemand hat eine kleine Garantie-Karte in der Tasche, dass er in einem Tag, in einer Woche oder in einem Jahr noch unter uns weilt. Wenn uns jetzt etwas passiert, wenn uns irgendwann etwas passiert, wäre es ein grosses Glück im Unglück, wenn das meiste ausgesprochen wäre.

Im berühmten Fragebogen von Max Frisch lautet eine Frage: «Wenn Sie an Verstorbene denken, wünschten Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?» Eine gute Frage – und eine wunderbare Anregung, Wichtiges bereits zu Lebzeiten auszusprechen und nicht zu warten, bis es zu spät ist. Und dann wie ein aufgeschrecktes Huhn von einem Medium & spirituellen Berater zum nächsten zu rennen, auf der Suche nach Antworten und ein bisschen Seelen-Frieden. Ganze Herden von aufgeschreckten Hühnern sind in dieser Mission unterwegs.

In der TV-Serie «Sopranos» sagt eine Figur sinngemäss: «Die Toten haben uns nichts zu sagen. Es ist nur unser Narzissmus, der uns glauben lässt, sie nähmen weiterhin Anteil an unseren menschlichen Querelen & Versäumnissen ...»

Reden Sie lieber rechtzeitig miteinander. Sprechen Sie aus, was Ihnen wichtig ist! Lassen Sie andere wissen, was Sie quält & bedrückt. Und sagen Sie vor allem den Menschen, die Ihnen wichtig sind, wie viel sie Ihnen bedeuten. Sprechen Sie die Liebe aus, die Sie in sich tragen.

Einem Nachbarn & Freund von mir wurde vor gut fünf Jahren in seinen 40ern die Diagnose Lungen-Krebs gestellt. Und zwar so ziemlich aus heiterem Himmel. Man stelle sich einen muskulösen, fitten, positiv-zufriedenen Menschen mit aktivem Berufs- & Privat-Leben vor. Raucher zwar, aber nach eigenem Bekunden gesund & munter. Weder Schmerzen noch sonstige Krankheits-Anzeichen im Vorfeld. Plötzlich wurde Benny heiser und immer heiserer, und nach drei Wochen suchte er einen Arzt auf, da die Heiserkeit einfach nicht wegging. Einige Abklärungen später hiess es: Herr M., Sie haben leider Lungen-Krebs im End-Stadium, nicht operierbar, wir können Sie zwar behandeln, aber nicht heilen. Dafür ist es zu spät. Wir können jetzt eine Chemo- und/oder Strahlen-Therapie einleiten, Sie können Alternativ-Medizin versuchen, Sie können beides miteinander kombinieren, Sie können gar nichts machen – es wird alles in etwa aufs Gleiche hinauslaufen. Sie haben noch ein paar wenige Monate zu leben.

Und genau so war es auch. Nach dieser Schock-Diagnose hat Benny M. zuerst einmal eine Reise zu philippinischen Mönchen angetreten, um das Ganze irgendwie sacken zu lassen und in Ruhe über das weitere Vorgehen nachzudenken. Er hat sich dann gegen die Schul-Medizin entschieden – nicht weil er grundsätzlich dagegen war, sondern weil es in seinem Fall einfach zu spät war. Bloss gegen Ende hin, als die Schmerzen unerträglich wurden, hat er sich schmerzstillende Medikamente & Spritzen verabreichen lassen. Und ist dann – nach dreimaliger Reanimation durch seine Frau – zu Hause in ihren Armen gestorben.

An der Beerdigung im Dezember 2011 war die Kirche voll von Hochzeits-Fotos – grosse & kleine – und wenn man (wie ich) damals an der Hochzeit mit dabei gewesen ist, dann kamen all die schönen Erinnerungen wieder hoch … Die Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten, als man gemeinsam in der Waldhütte sass und die Zukunft noch vor sich hatte. Und es war – trotz aller Traurigkeit & Verzweiflung – eine schöne Beerdigung, wo Freunde & Angehörige vortraten und kurz erzählten, was ihnen der Verstorbene bedeutet hat. Oder eine persönliche Anekdote zum Besten gaben. Und trotz vieler Tränen war es ein tröstlicher & stimmiger Abschluss eines viel zu kurzen Lebens, das viele Spuren & Erinnerungen hinterlassen hat in den Köpfen der Mitmenschen. Wie heisst es so schön: Für die, die ihn nicht kannten, reichen keine Worte – und für die, die ihn kannten, braucht es keine Worte. Er hatte gewiss auch seine Probleme & Abgründe wie wir alle – aber unter dem Strich war er eine der wenigen Persönlichkeiten, bei denen man das Gefühl hat, es wird ein bisschen heller, wenn sie den Raum betreten. Und auch heute noch habe ich oft das Gefühl, Benny kommt gleich zur Türe herein wie das blühende Leben …

Ihre Lieben verdienen einen persönlich gestalteten letzten Lebens-Abschnitt – und einen Schluss-Applaus!

«Angst vor dem Tod haben doch nur Menschen, die sich nicht verwirklicht haben in ihrem Leben», meinte der letztes Jahr im biblischen Alter von über 100 Jahren verstorbene Maler & Grafiker Hans Erni. «Sie nehmen an, dass die Erfüllung in einem jenseitigen Paradies auf sie warte. Schauen Sie aus dem Fenster auf diese Wiese und diesen Wald – die Erfüllung finden Sie doch direkt vor Ihren Augen. Wenn Sie Ihr Leben rechtfertigen können in dem, was Sie gemacht haben, dann müssen Sie sich keine Gedanken über das Danach machen. Entscheidend ist das, was Sie während Ihres Lebens verändert haben.»

Nicht allen gelingt das: «Meiner Mutter», so Schriftsteller Martin Walser, «einer wirklich gläubigen Frau, hat ihr Glaube überhaupt nichts geholfen, beim Sterben war sie nichts als reine Angst. Wenn mir das auch passiert, kann ich nur hoffen, dass möglichst wenige Leute dabei sind …»

Andere sehen das gelassener: «Ich habe keine Angst vor dem Tod. Warum denn? Ich bin so neugierig darauf! Das ist doch wahnsinnig spannend, was uns da erwartet», so Schauspieler Peer Augustinski. Schriftsteller Norman Mailer schaute gar neuen Abenteuern entgegen: «Warum sollte ich bloss Angst vor dem Tod haben? Ich bin unglaublich neugierig. Der Tod ist Teil eines ungeheuren Prozesses, und ich glaube, er wird spannend, vielleicht voller Abenteuer.»

Am schönsten hat es vielleicht Historiker Golo Mann ausgedrückt: «Wer sich sein Leben lang Mühe gab, wer Freude für sich und andere suchte, wer mit angeborenen Schwächen so weit wie möglich zurechtkam, wer seine Talente nicht brachliegen liess, wer an Treue glaubte und sie übte, wer half, wo er helfen konnte und helfen Sinn machte, wer einmal dies glaubte und einmal das, weil er eben ein Mensch und kein Engel war – was sollte der vom Tode fürchten?»

Ich habe zu Lebzeiten meines Vaters über diverse Aspekte der Demenz und über den Umgang mit demenzkranken Menschen geschrieben. Diesbezügliche Infos finden allenfalls Interessierte unter den folgenden Links:

(Demenz-Prävention:) «Demenz & Alzheimer – Vorbeugen mit Hirn»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/demenz-alzheimer-vorbeugen-mit-hirn.html

(Leben mit Demenz:) «GmbA – Gesellschaft mit betreutem Ableben»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/gmba-gesellschaft-mit-betreutem-ableben.html

(Gesundheit & Medizin:) «Klartext über Schul-Medizin, Alternativ-Medizin & Quanten-Quatsch»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/klartext-ueber-schul-medizin-alternativ-medizin-quanten-quatsch.html

(Überflüssiger Krempel:) «60'000 Gedanken & Gegenstände»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/60-000-gedanken-gegenstaende.html

Zusätzlich zum Alltag mit einem schwer demenzkranken Vater kam für meine Schwester & mich leider noch ein jahrelanger «Kampf» mit den Behörden hinzu, den wir auf ganzer Linie verloren haben. In unserem Fall ist so ziemlich alles schief gelaufen, was hätte schief laufen können. Es war einfach von Anfang an der berühmte Wurm drin – und er ist drin geblieben bis zum bitteren Ende. Ich kann nur davon abraten, den folgenden Artikel zu lesen (lang & deprimierend) – es sei denn, man steht gerade selbst vor der Frage einer Amts-Beistandschaft für einen Angehörigen. Dann kann man sich unter Umständen sehr viel Ärger, Schmerz und teures Lehrgeld ersparen:

«Berufs-Beistandschaft in der Bananen-Republik»:
http://www.besser-fernsehen.ch/blog/entry/berufs-beistandschaft-in-der-bananen-republik.html

Nach Weihnachten habe ich eine (hoffentlich) letzte Mail an die Leiterin der Berufs-Beistandschaft Rheinfelden geschrieben:

Hallo Frau C.

Wir haben nun auch noch diese letzte Rechnung bezahlt – möge es anderen «Klienten» erspart bleiben, nach dem Tod ihres schwer dementen Angehörigen bei den Steuer-Behörden erst einmal den ärztlichen Nachweis erbringen zu müssen, dass dieser Angehörige zu Lebzeiten überhaupt jemals an Demenz gelitten hat. Mit allen diesbezüglichen Folgen & Nicht-Folgen über die Jahre hinweg, nicht nur steuerlich.

Aber im Grunde war das nur eine winzige Fussnote unter einen jahrelangen Albtraum, eine überaus schmerzliche, völlig unnötige Zusatz-Belastung für meine Schwester und mich. Zusätzlich zum ganzen schwierigen Alltag mit einem schwer demenzkranken Vater. Alle unsere Einwände über die Jahre hinweg sind entweder erfolgreich ignoriert oder erfolgreich abgeschmettert worden. Wir haben bezahlt im Übermass – finanziell, mental, emotional, in jeder erdenklichen Hinsicht. Ein Entkommen aus diesem Albtraum war uns leider zu Lebzeiten unseres Vaters nicht vergönnt – trotz all unserer aufrichtigen Bemühungen.

Uns bleibt nur die Hoffnung für 2017, dass anderen «Klienten» dieser unsäglichen «Dienstleistungen» ein ähnlicher jahrelanger Albtraum erspart bleiben möge. 

In diesem Sinne
AV Schaffner

Das ist auch mein Wunsch für alle anderen, die irgendwo da draussen mit Behörden-Unfähigkeit/-Willkür, fehlendem Engagement oder ähnlichem kämpfen. Es gibt so viele Auseinandersetzungen im Verborgenen, so viele Schlachtfelder, auf die kein Scheinwerfer-Licht fällt. Ich wünsche allen Betroffenen auch im kommenden Jahr viel Mut, Kraft & Zuversicht.

Und natürlich auch viel Kraft & Zuversicht, Freundschaft & Verbundenheit all jenen, die einen geliebten Angehörigen verloren haben und dem neuen Jahr mit mulmigen Gefühlen entgegensehen.

Sowieso wünsche ich Ihnen/Euch allen von Herzen alles Gute für 2017 – in dieser verrückten Welt!

Und natürlich darf man sich in besinnlichen Stunden auch mal selber die Frage stellen, wie man dereinst den eigenen Abschied gestalten würde. Coaches aller Couleur raten ja schon seit Jahrzehnten zum Verfassen der eigenen Grab-Rede – um im Vorfeld (ein bisschen mehr) danach zu leben.

Schauspieler Kiefer Sutherland: «Keine Ahnung, was mal auf meinem Grabstein stehen wird. Aber sicher nicht: ‹Er hat viel verpasst im Leben!›»

Na dann: Auf ein lebendiges neues Jahr!